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Die indische IT-Stadt Bangalore gilt als Vorzeigemodell der wirtschaftlichen Globalisierung. Doch das Post-Silicon Valley urbane Modell ist von sozialen Fragmentierungen überschattet.
Kürzlich verlegte die Nachrichtenagentur Reuters 600 Jobs aus der englischen Provinzidylle in die hektische indische IT-Metropole Bangalore. Das Sammeln und Aufbereiten von Firmendaten, jener Geschäftsbereich, der 90 % des Umsatzes Reuters ausmacht, wird in Zukunft in der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Karnataka stattfinden. Jede Nacht werden junge Arbeitskräfte damit beschäftigt sein, jene kritischen Daten zusammenzustellen, die 327.000 Entscheidungsträger auf der ganzen Welt subskribiert haben.
Wie Tausende von Banken, Versicherungen, Airlines, Handelsketten und Biotech-Firmen lagert Reuters Geschäftsvorgänge nach Asien aus. Die englische Wortschöpfung “Bangaloring” ist zu einem Synonmy dafür geworden, Tätigkeiten an Orten durchführen zu lassen, wo die Löhne niedrig, die Arbeitskräfte diszipliniert und gut ausgebildet, und die Regierungen willig sind, für Investitionsanreize wie öffentlich subventionierten Grund, Steuererleichterungen, Technologieparks, Infrastruktur und schicke leisure facilities für High-End-Workers zu sorgen. Während outsourcing in Europa und Amerika zum Kriegsschrei neoliberaler Wirtschaftspolitik geworden ist und bei vielen Jobverlust-Ängste erzeugt, stellte etwa der Software-Gigant Infosys in nur neun Monaten 10.000 neue Leute ein, erhält aber immer noch über eine Million Bewerbungen pro Jahr. Es verwundert nicht, dass viele Städte des Südens wie Bangalore werden möchten. Immer mehr wird bangaloring zu einem Wort, das für das Entstehen von information cities steht. Die ständige Suche nach Orten, die der Schaffung von Mehrwert dienen, vom mittelalterlichen Marktflecken zur Industrie-Metropole des 20. Jahrhunderts, ist ein Merkmal der kapitalistischen Wirtschaftsform. Das Anwachsen des Dienstleistungssektors machte aus Stadtzentren Businessparks, deren fest verkabelte Büros sich hinter historischen Fassaden verbargen, wodurch viele Bewohner and den Stadtrand getrieben wurden. Die Zentralisierung von Dienstleistungen, aber auch die globale Verteilung von Produktion ist die Aufgabe der postmodernen “Global City”, die von Saskia Sassen beschrieben wurde: Eine Stadt, die, herausgelöst aus den lokalen Zusammenhängen, zu einem globalen Netzwerk aus Kapital- und Informationsflüssen gehört. Die information city ist etwas anderes. Sie hat ihre Vorläuferin in Silicon Valley, nicht in den bürgerlichen urbanen Strukturen von Paris, London oder New York. Silicon Valley repräsentiert den “Kern der Informationsgesellschaft”, meint der Historiker James Heitzman, der in seinem Buch “Network City” eine detailreiche Studie Bangalores vorgelegt hat. Die network city ist demnach die Nachfolgerin der world city und der global city, und sie ist “das Ergebnis eines Siegeszugs des privaten Unternehmertums” im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung. Wenn eine Firma mit den Beschäftigtenzahlen von Infosys 3 Quadratkilometer Grund für einen neuen “Campus” in Bangalore haben will, scheinen sich stadtplanerische Fragen von selbst zu beantworten. 200 der 500 größten US-Firmen lassen Ihre Software von Infosys herstellen. Das politische Gewicht der Firma ist dem entsprechend, und auch an ihrer Ausrichtung bestehen keine Zweifel. “Erst mit der Zurückdrängung des indischen Sozialismus konnten sich die IT-Unternehmen so phantastisch entwickleln” meinte der Infosys-Chef während eines Besuchs des österreichischen sozialdemokratischen Präsidenten Fischer vergangenen Monat. Allerdings beginnen sich in Bangalore, das 2010 etwa 8 Millionen Einwohner zählen wird, Infrastruktur-Probleme zu verschärfen. Die IT-Branche beginnt sich nach Alternativ-Locations umzusehen, wodurch der Druck auf die Behörden und die Bevölkerung zunimmt. Immer mehr werden in die Slums gedrängt: zwischen 1991 und 1999 alleine ist die Zahl der Slums von 444 und 1,2 Millionen Bewohnern auf 763 und 2,2 Millionen Bewohner gestiegen, wie Anita Gurumurthy in einem Nettime-Posting schreibt. Laut Christoph Dietrich, einen Geographen an der Universität Freiburg, wird Bangalore zu einer “mehrfach fragmentierten Stadt, in der soziale und geographische Barrieren stärker werden”. Außerdem hätte sich wegen der “schweren Mängel in der Infrastruktur und den öffentlichen Dienstleistungen” ein Gefühl der Frustration in der IT-Branche verbreitet. Außerhalb der IT-Parks ist das Wasser knapp und verschmutzt, die Elektrizitätsversorgung unzuverlässig, der Verkehr stockend. Täglich werden 800 Fahrzeuge neu zugelassen. Die Metro Rail, ein neuer internationaler Flughafen, eine verbessertes Wasserleitungssystem – Infrastrukturprojekte, die seit Jahren unfinanziert auf der Warteliste stehen. Es überrascht nicht, dass Infosys auch im benachbarten, kommunistisch regierten Staat Kerala Grund erwirbt, wo der Sozialmus es offenbar fertigbringt, Firmen unterzubringen, die sich den Sieg über den Sozialismus zugute halten. Die Kosten für die Branche sind in Kerale noch um 60 % unter denen anderer indischer Staaten. Ähnliches gilt für Tamil Nadu: “IT-Firmen beginne zuverstehen, dasss Bangalore seinen Höhepunkt überschritten hat und Chennai (Tamil Nadu) bessere Möglichkeiten bietet” zitiert die BBC einen Regierungsvertreter. Auch Hyderabad und Pune (Maharasthra) gehören zu den aufstrebenden IT-Zentren. Während Bangalore schon dabei sein könnte, seine “IT-Krone” abzulegen, sorgt der Glanz von Risikokapital, IT-Parks und hohen Beschäftigungszahlen für einen beständigen Fluss prominenter internationaler Besucher, die vom Modell der information city in irgendeiner Weise profitieren wollen. Eine bunte Mischung aus Staatsmännern von Vladimir Putin bis zum beligischen Prinzen Philipp kommt nach Karnataka, um Investitionsmöglichkeiten zu schafffen, während Besucher aus dem Süden begierig sind, das Beispiel Bangalore für die eigenen Info-City-Projekte fruchtbar zu machen. In jüngster Zeit sind Besucher aus Venezuela, Algerien, China, Singapur, Nigeria und vielen anderen Ländern gekommen. “Für Befürworter der Globalisierung stellt die Stadt ein besonders erfolgreiches Beispiel der neuen Möglichkeiten dar, wie Schwellenländern von den jüngsten Entwicklungen der wirtschaftlichen Globalisierung profitieren können”, meint Christoph Dittrich. Das Wunder der Info-Stadt ist so attraktiv, das ein Land beschlossen hat, das ganze Territorium in eine solche zu verwandeln: bis 2010, so ein Plan der südkoreanischen Regierung, soll das Land flächendeckend mit einem ubiquitären Computernetzwerk überzogen sein. *********************************
++LINKS++
Reuters >>> http://www.reuters.com
“Die Datensammler von Bangalore” von John F. Jungclaussen >>> http://zeus.zeit.de/text/2005/09/Reuters
Infosys >>> http://www.infosys.com
Offizielle Website des Department of IT and Biotechnology, Government of Karnataka >>> http://www.bangaloreit.com/
Software Technology Parks of India, Bangalore >>> http://www.soft.net/
Unpacking the Knowledge Economy – Whither Knowledge Society? Posting von Anita Gurumurthy >>> http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-0402/msg00009.html
Megacities Task Force (International Geographical Union) >>> http://www.megacities.uni-koeln.de
“City craves for infrastructure overhaul”, von Shubha Narayanan >>> http://www.deccanherald.com/deccanherald/mar102005/c4.asp
“India's Infosys plans new campus”, BBC News >>> http://news.bbc.co.uk/1/hi/business/4314281.stm
“Reisen mit Fischers”, von Christian Rainer
Profil 9 / 2005, S. 32 / 33.
James Heitzmann: Network City. Planning the information society in Bangalore. Delhi, Oxford University Press 2004
Saskia Sassen:The Global City. New York, Princeton University Press 2001
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